Mit Beginn der
konfessionellen Epoche spitzte sich der Streit um die rechte Übersetzung
der Heiligen Schrift erneut zu: Wie sollte sie sein? Wort für Wort oder dem
Sinn gemäß? Dazwischen lief zeitweise ein tiefer Graben, der auch das
katholische und protestantische Lager voneinander trennte.
Luther hat seine überragende Bibelübersetzung
in Zusammenarbeit mit Melanchthon - das NT hat Luther selbständig aus dem
Griechischen ins Deutsche übersetzt - 1534 vollendet und bis 1541
verbessert. Zu seinen Lebzeiten wurde sie zehnmal herausgegeben. Die Bibel
bzw. Bibelteile sind in 1631 der rund 3000 Sprachen der Menschheit übersetzt
worden. Die vollständige Bibel liegt freilich erst in 266 Sprachen vor.
Volksgruppen in Afrika, Asien und Südamerika haben im 19. Jahrhundert
erstmals eine vollständige Bibel erhalten, z. B. die mexikanischen Indianer
(Chol-Tumbala). Das NT gibt es in 420 Sprachen, einzelne Bibelteile wurden
in 945 weitere Sprachen übertragen. Die Übersetzungsarbeit schreitet immer
weiter voran, ebenso ihre Verbreitung: sie stieg seit 1971, wo bereits 171
Millionen Bibeln verbreitet waren, um 159 Millionen weiter an, d. h. auf 330
Millionen bis zum Jahr 1976. Das wird an Luther deutlich. Ihm ist es in
seiner Beschäftigung mit dem Grundtext immer zugleich darum gegangen, den
Sinn einer biblischen Stelle in ihrem Zusammenhang zu finden. Er hat
gesucht, um zu finden, anders als Picasso, der gesagt hat: „Ich suche
nicht. Ich finde." Es gab bereits Bibelübersetzungen ins Deutsche vor
Martin Luther. Es sind nicht weniger als 203 Handschriften bekannt, außerdem
18 gedruckte Vollbibeln, 22 Psalmenübersetzungen und 12 Drucke anderer
Bibelteile. Die erste gedruckte Deutsche Bibel erschien vor 1466 in Straßburg.
Herausgeber war Johann Mentelin (1447—1478) aus Schlettstadt. Ebenfalls in
Straßburg erschien vor 1470 die Bibel des Magisters Heinrich Eggestein. Es
folgte die Augsburger Bibel (um 1475) des Günther Zainer aus Reutlingen. In
Nürnberg erschien 1476 die Bibel von Johann Sensenschmidt aus Eger und
Magister Andreas Friesler aus Wunsiedel. Heinrich Quentel aus Straßburg gab
um 1478 eine Bibel in Köln heraus. Sie ist in niederdeutscher Sprache
abgefaßt und mit vielen Abbildungen versehen. Das oberdeutsche Gegenstück
ist die Nürnberger Bibel Johann Kobergers (1483). Sie übernahm zahlreiche
Holzschnitte der Kölner Bibel. Koberger beschäftigte zeitweise 100
Gesellen an 24 Pressen. In Lübeck erschien 1494 die Bibel von Steffen
Arndes. Alle diese vorlutherischen deutschen Bibeln legten die lateinische
Volksbibel (Vulgata) zugrunde, die auf den Kirchenvater Hieronymus zurückgeht.
Das Deutsch ist sehr altertümlich, verwendet z.T. noch mittelhochdeutsche
Wortformen, und steif, nach unserem heutigen Geschmack geradezu barbarisch.
Der im 15. Jh. aus Italien vordringende Humanismus verlangte aber: zurück
zu den Quellen! Das hieß für die Bibel :zurück zum Grundtext, dem Hebräischen
für das Alte Testament (AT) und zum Griechischen für das NT. Martin
Luther, durch die Schule des Erfurter Humanismus gegangen, entsprach dieser
Forderung.
"Denn man mus nicht die buchstaben inn
der lateinischen sprachen fragen / wie man sol Deutsch reden / wie diese esel
thun / sondern / man mus die mutter im hause / die kinder auff der gassen / den
gemeinen man auff dem marckt drumb fragen / vnd den selbigen auff das maul sehen
/ wie sie reden / vnd darnach dolmetzschen / so verstehen sie es denn / vnd
mercken / das man Deutsch mit jn(nen) redet."
- aus dem "Sendbrieff von Dolmetschen" 1530 -
Er erlernte die biblischen Grundsprachen. Die unfreiwillige Muße
auf der Wartburg benutzte er zur Übersetzung des NT. Sie kam im September
1522 bei Melchior Lotter d.J. in Wittenberg heraus und heißt daher
„Septemberbibel". Die 5000 Exemplare gingen reißend weg, obwohl der
Preis (152 Gulden) dem eines Pferdes gleichkam. Überall gab's
„Raubdrucke". Trotzdem mußte Luther bereits im Dezember 1522 eine
Neuauflage (Dezemberbibel) herausbringen; er hat darin 54 Berichtigungen
vorgenommen. Nun ging Luther, unterstützt von seinen Amtsbrüdern im
Pfarramt und an der Universität, an die Übersetzung des AT. Schon 1523
erschienen die sog. Geschichtsbücher und die Psalmen (1524). Die Übersetzung
der Prophetenbücher nahm 8 Jahre in Anspruch. Die ganze Bibel konnte 1534
erstmals erscheinen, nun bei Hans Lufft in Wittenberg. Der neue Verleger bemühte
sich, Raubdrucke zu verhindern, aber es erschienen trotzdem nicht weniger
als bis zur letzten Ausgabe von Luthers Hand (1545). Über die Grundsätze
seiner Übersetzertätigkeit hat sich Luther mehrfach ausgesprochen, so im
„Sendschreiben vom Dolmetschen", 1530, und „Von Ursachen des
Dolmetschens", 1531. Er wollte volkstümlich sein im Text („Den
Leuten aufs Maul schauen") und verbesserte ihn laufend — man kann
also mit Recht sagen, die Überarbeitung der Lutherbibel beginnt schon bei
Luther selbst. Luther war nicht nur ein tiefgründiger Glaubens- und
Sprachgelehrter, sondern auch ein Meister der deutschen Sprache, ein
begnadeter Dichter. Das Versmaß und der Klang der Lutherbibel ist bis heute
unerreicht. Mit der Bibel hat Luther den Deutschen ihr wichtigstes
Sprachdenkmal gegeben. Er legte die sächsische Kanzleisprache zugrunde.
Sein Bibeldeutsch wurde zum Einheitsband der Niederdeutschen und der
Oberdeutschen.